Es ist einfach unglaublich. Ich bin sprachlos. Das habe ich nicht erwartet. Dass ich mit so vielen Menschen in Verbindung komme, weil sie sich ebenfalls mit diesem Thema auseinandersetzen. Sie investieren sehr viel Zeit und zum Teil auch Geld, um an den Veränderungen mitzuarbeiten, die nötig sind, um die Welt der von allen Seiten benachteiligten Kakaobauern und ihrer Familien ein kleines bisschen besser, menschenwürdiger, zu machen.
Das Schöne dabei ist, dass sich jeder, wirklich jeder daran beteiligen kann. Sie können das, ich kann das, und Ihr Nachbar, Ihre Tante Hilde und der Kaufmann an der Ecke können das auch. Im ersten Teil des Artikels hatte ich Ihnen ja versprochen, dass ich Ihnen zeige, wie das geht. Es hat zwar ein bisschen länger gedauert, als ich dachte, weil eine wahre Flut an Informationen über mich hereinbrach, aber jetzt endlich ist es so weit.
Ich bin glücklich, Ihnen heute jemanden vorstellen zu können, der sich mit diesem Thema schon etliche Jahre auseinandersetzt und genau weiß, wie es funktioniert. Trotz seiner knappen Zeit war er bereit zu einem Interview: Friedel Hütz-Adams vom Südwind Institut.
Jutta Schumacher (J.S.): Herr Hütz-Adams, erst mal herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, meine Fragen hier zu beantworten.
Da viele meiner Leserinnen und Leser Sie möglicherweise noch nicht kennen, weil sich ihr Interesse an Kakao und Schokolade eben bisher auf andere Ebenen beschränkte, bitte ich Sie um eine kurze Vorstellung. Sie haben – und das ist auch schon alles, was ich weiß – Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaftslehre in Köln studiert und sind seit 1994 wissenschaftlicher Mitarbeiter des SÜDWIND Instituts für Ökonomie und Ökumene in Siegburg. Das Institut hat das Ziel der Förderung einer weltweiten wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Gerechtigkeit. Hier haben Sie etliche Studien über Kakao im Zusammenhang mit Menschenrechten, Kinderarbeit, Wege zu einem nachhaltigen Handel etc. erstellt. Wie kamen Sie zum Südwind-Institut und was motiviert Sie zu Ihrer Arbeit?
Friedel Hütz-Adams (F. H.-A.): Ich bin bei meiner ehrenamtlichen Arbeit und auch im Studium zu der Auffassung gekommen, dass viele Missstände in Entwicklungsländern nur aufgehoben werden können, wenn Unternehmen, Politik und Menschen in den Industrieländern ihr Verhalten ändern. Mit Südwind habe ich einen Arbeitgeber gefunden, der eine sehr ähnliche Auffassung vertritt. Daher habe ich die Gelegenheit ergriffen, als mir eine Stelle bei Südwind angeboten wurde. Die Motivation für diese Arbeit erhalte ich durch die kleinen Erfolge bei den verschiedenen Projekten, an denen wir arbeiten.
J.S.: In Deutschland wurden in 2010/2011 rund 370.000 Tonnen Kakao verarbeitet. Der Umsatz an Fair-Trade-Kakao, Trinkschokolade und Schokolade betrug mal gerade 1.431 Tonnen, in dieser Menge sind jedoch auch noch Milch, Zucker usw. enthalten. Da muntert auch die Meldung von einer Umsatzsteigerung in 2011 gegenüber 2010 von 17 (Kakao) bzw. 19 % (Schokolade) nicht wirklich auf. Noch immer stammt nur knapp 1 % des verarbeiteten Kakaos aus fairem Handel. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
F. H.-A.: Dies hat eine Vielzahl von Gründen. Bevor Südwind im Jahr 2009 die erste umfassendere deutschsprachige Studie zum Thema Kakao veröffentlichte, waren die Arbeitsverhältnisse in den Anbaugebieten Westafrikas kaum Thema von Diskussionen in Deutschland. In anderen Ländern, und hier insbesondere in den USA und in Großbritannien, gab es dagegen seit dem Jahr 2000 öffentlichkeitswirksame Berichte und Studien über die Missstände insbesondere in den Kakaoanbaugebieten Westafrikas. Doch diese Debatte war nie nach Deutschland rübergeschwappt.
Nach Veröffentlichung der Studie im Jahr 2009 und den weiteren Studien in den Folgejahren gab es eine Vielzahl von Medienanfragen bei Südwind und damit verbunden auch eine große Zahl kritischer Berichte über die Zustände in den Kakaoanbaugebieten. Das zunehmende Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher erhöhte wiederum den Druck auf die Unternehmen, sich die Zustände in den Liefergebieten genauer anzuschauen. Dies geschah nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen Nachbarstaaten.
Die zunehmende Debatte schuf erst die Grundlage für eine verstärkte Nachfrage nach zertifiziertem Kakao: Warum sollen die Menschen einen Aufpreis für zertifizierte Ware zahlen, wenn ihnen nicht bekannt ist, dass überhaupt Probleme in den Anbauländern bestehen? Hinzu kam, dass es nur ein geringes Interesse der Unternehmen und des Handels an der Verbreitung zertifizierter Ware gab. Dies hat sich erst in den letzten Jahren geändert. Ohne eine verstärkte Nachfrage der Unternehmen und des Handels kam jedoch bis vor kurzem kaum zertifizierter Kakao auf den Markt und damit auch nur geringe Mengen zertifizierter Schokolade in die Regale der Läden.
J.S.: Holland ist uns ja da mit seinem Runden Tisch ein ganzes Stück voraus. Was müsste geschehen, um so etwas Ähnliches auch in Deutschland zu installieren?
F. H.-A.: Die Debatte in den Niederlanden ist der in Deutschland tatsächlich um einige Jahre voraus. Dort gab es öffentlichkeitswirksame Kampagnen und eine breite Medienberichterstattung über die Missstände in den Kakaoanbaugebieten. Dies führte zur Bereitschaft der Regierung, einen Runden Tisch zu moderieren und von den Unternehmen zu fordern, dass diese konkrete Verpflichtungen zur Verwendung von nachhaltig erzeugtem Kakao eingehen. Die derzeitigen Planungen sehen vor, dass bis zum Jahr 2015 die Hälfte und bis 2020 sogar 80 % des verwendeten Kakaos aus nachhaltigem Anbau kommt. Im Jahr 2025 sollen es dann 100 % sein.
J.S..: Zwar wurde inzwischen das Forum Nachhaltiger Kakao gegründet, aber bevor dieses Forum überhaupt mit seiner Arbeit beginnen konnte, ist ja leider schon der BDSI (Bund der Deutschen Süßwaren-Industrie) vorgeprescht und hat als Ziel das Erreichen einer sehr niedrigen Marke in den Raum gestellt, nämlich dass 50 % der in Deutschland insgesamt verarbeiteten Kakaomenge bis 2020 aus nachhaltigen Quellen stammen sollten. Warum so wenig, was ist der Hintergrund?
F. H.-A.: Noch vor einem Jahr gab es in Deutschland nur eine sehr geringe Bereitschaft, ähnlich wie in den Niederlanden einen Runden Tisch einzuberufen. Dies hat sich zum Glück geändert, da der öffentliche Druck zunahm und zugleich einige Unternehmen dabei sind, ihre Zuliefererketten umzubauen. Daher gab es sowohl einige Schokoladenhersteller als auch Handelsunternehmen, die eine konzertierte Aktion der deutschen Industrie forderten. Andere Unternehmen sind da wesentlich zurückhaltender. Die Gründe sind vielfältig. Zum einen mangelt es anscheinend noch am öffentlichen Druck in Deutschland, zum anderen sind die Mengen Kakao, die aus zertifizierten Quellen benötigt werden, rund zehnmal so hoch wie in den Niederlanden. Einige Unternehmen haben daher Angst, dass Zusagen wie in den Niederlanden sie überfordern würden. Schließlich muss in die Veränderung der Zuliefererkette investiert werden. Änderungen brauchen etwas Zeit.
Schade ist jedoch, dass bereits vor der Gründung des Runden Tisches der Industrieverband die Zielmarke von 50 % veröffentlicht hat. Angesichts der Ankündigungen mehrerer großer Schokoladenhersteller und Einzelhandelsketten, ihre Beschaffung bis zum Jahr 2020 zu 100 % aus nachhaltigem Anbau zu gewährleisten, droht ein Stillstand: Wenn alle Unternehmen, die bisher schon Selbstverpflichtungen eingegangen sind, diese umsetzen, werden die anderen Unternehmen nichts mehr tun müssen, um die 50 % Quote zu erfüllen.
Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die Ziele des deutschen Forums weit über die Formulierung von Nachhaltigkeitsquoten hinausgehen. Die dort versammelten Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Regierungsstellen wollen unter anderem dafür sorgen, dass positive Erfahrungen beim Anbau nachhaltigen Kakaos schneller auf andere Projekte übertragen werden und die gesamte Industrie gemeinsam nach schnellen Lösungen sucht, wie möglichst viele Bauern fortgebildet werden können, um Verbesserungen beim Anbau zu erreichen und eine Zertifizierung zu ermöglichen. Sollte dies tatsächlich umgesetzt werden, hätte dies Einfluss nicht nur auf die 12 % der weltweiten Kakaoernte, die in Deutschland gegessen werden. Da Deutschland ein großer Exporteur von Schokoladenprodukten ist und da kaum anzunehmen ist, dass die Unternehmen einerseits zertifizierte Ware für den deutschen Markt anbieten und andererseits nicht zertifizierte Produkte für den Export, kann der deutsche Ansatz großen Einfluss auf den europäischen Markt haben, der 50 % der weltweiten Kakaoernte verbraucht.
J.S.: Sowieso habe ich ein Problem mit dem Begriff „nachhaltig“. In diesem Zusammenhang müsste das doch genau definiert werden, was darunter zu verstehen ist. Auf der Seite des BDSI fand ich zwar eine Erklärung, die für mich jedoch ziemlich wachsweich klingt. Eben danach, dass das alles noch lange dauern kann. Wie sehen Sie das, wie kann wer da Druck ausüben – ohne den es vermutlich nicht gehen wird?
F. H.-A.: Ich verstehe unter nachhaltig, dass ökologische und soziale Mindeststandards eingehalten werden: der Anbau von Kakao sollte ohne den Raubbau an der Natur geschehen und die Einnahmen aus dem Verkauf ihrer Ernte sollte den Bauern und ihren Familien ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Die Einhaltung der Standards sollte von unabhängigen Organisationen wie Fairtrade, Rainforest Alliance oder Utz Certified zertifiziert werden.
Mehrere Unternehmen bewegen sich in diese Richtung. Mars hat vor zwei Jahren angekündigt, bis zum Jahr 2020 vollständig auf zertifizierte Ware umzustellen. Unilever und Lidl sind auf dem gleichen Weg, Ferrero vermutlich bald auch. Man muss jedoch abwarten, was die Zertifizierung für die Bauern bedeutet. Das Risiko ist ja, dass man zertifiziert und die Warenkette nachvollziehen kann, aber sich die Situation der Bauern wenig verändert. Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken muss unbedingt darauf geachtet werden, dass die verschiedenen Zertifizierungsansätze permanent ausgewertet werden. Zeigt sich, dass bestimmte Maßnahmen schneller zu einer Verbesserung der Situation der Bauern führen, dann müssen diese auch zu Mindeststandards für alle gemacht werden.
J.S.: Was die Menschen hier am meisten bewegt, sind die Berichte und Filme über Kinderarbeit und Kindersklaven auf den Kakaoplantagen. Das ist schlimm, ohne Zweifel sehr, sehr übel und grausam, aber es ist leider nur ein Symptom, basierend auf der insgesamt sehr schlechten Situation der Kakaobauern. Natürlich sind Berichte mit und über Kindern sehr medienwirksam, aber es ist nur ein Teilaspekt des gesamten Problems. Einige meiner Freunde meinten, man müsste dort eben mehr Schulen bauen und Lehrer anstellen. Wenn die Bauern ohne die Mitarbeit ihrer Kinder jedoch nicht überleben können, kann das allein jedoch auch nicht viel helfen… Angesetzt werden muss doch bei Einkommensverbesserungen für diese Familien?
F. H.-A.: Die Dinge müssen ineinander greifen. Am schlimmsten ist die Situation derzeit in der Elfenbeinküste. Doch ausgerechnet von dort kommen fast 60 % der deutschen Importe: der Kakao aus der Elfenbeinküste ist zwar qualitativ relativ schlecht, doch auch sehr preiswert. Da in Deutschland wiederum Schokolade so billig ist wie sonst nirgendwo in Westeuropa. greifen die hiesigen Unternehmen gerne auf den billigen Kakao aus der Elfenbeinküste zurück.
In diesem Land gab es jedoch in den letzten 15 Jahren politische Unruhen, Bürgerkriege und eine chaotische Regierungsführung. Es ist somit tatsächlich nicht damit getan, dass irgendwann hinter jedem Kakaobaum jemand steht und aufpasst, dass keine Kinder arbeiten. Im Gegenteil, die Ernte von Kakao ist sehr arbeitsintensiv und wenn die Kakaobauern durch den Verkauf ihres Produktes nicht genug Geld erlösen, um während der Erntezeit Erwachsene als Erntehelfer einzustellen, dann werden sie weiterhin auf Kinder als Arbeitskräfte zurückgreifen. Oder bei scharfer Bewachung der Kakaoplantagen ihre Kinder auf Ananasplantagen et cetera arbeiten lassen.
Ein zentraler Punkt bei der ganzen Debatte muss daher die Suche nach der Antwort auf die Frage sein, welchen Preis die Bauern für ihren Kakao bekommen müssen, um ihnen und ihren Familien ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.
Dies zeigt auch die derzeitige Entwicklung: Die Preise sind nach der Rekordernte in der letzten Erntesaison im Oktober 2011 sehr niedrig. Sie liegen bei 2.300 Dollar die Tonne. In den Jahren davor lagen sie bei 3.000 Dollar. Inflationsbereinigt ist dies weniger als die Hälfte dessen, was der Bauer 1980 noch für den Kakao bekommen hat: Damals lag der Preis rund 5.000 US-Dollar je Tonne, im Jahr 2000 waren es dagegen nur noch 1.200 US-Dollar. Studien belegen einen direkten Zusammenhang zwischen dem Verfall von Preisen und Kinderarbeit. Wenn man keine erwachsenen Erntehelfer mehr bezahlen kann, müssen Kinder arbeiten.
Zugleich sind die Regierungen in den Anbauländern dafür mitverantwortlich, die Situation der Kakao Anbauenden zu verbessern. Einerseits müssen sie Unterstützungsmaßnahmen, wie Weiterbildung, den Zugang zu Dünger und Pestiziden et cetera für die Bauern anbieten, andererseits müssen sie die Infrastruktur in den Anbaugebieten verbessern und vor allem ausreichend Schulen zur Verfügung stellen!
J.S.: Es gibt verschiedene Zertifikate – FairTrade, Rainforest, Utz. Es gibt einige Unterschiede in den Standards, die gemeinsame Erklärung vom 14. Februar 2011 hilft m. E. nicht wirklich weiter. Dass sich Verbraucher „das System wählen, das ihren Interessen am besten entspricht“ halte ich für eine Illusion. Insofern scheint mit das immer noch kontraproduktiv, und ich halte es für sinnvoller, eine einheitliche Zertifizierung zu schaffen. Das wäre doch sicher auch im Interesse der Bauern, die wohl oft nicht einmal das Geld für eine Zertifizierung haben. Anscheinend gibt es Bestrebungen in dieser Richtung, hat sich da evtl. doch schon etwas bewegt?
F. H.-A.: Vorab: Eigentlich sollten alle Siegel überflüssig sein. Unternehmen sind dafür verantwortlich, dies hat zuletzt eine Kommission der Vereinten Nationen auch so noch einmal festgehalten, dass in ihrer gesamten Lieferkette grundlegende Menschenrechte eingehalten werden. Eben dies geschieht derzeit nicht. Erst dadurch entsteht überhaupt die Notwendigkeit, über Zertifizierungsorganisationen die Einhaltung von Mindeststandards in den Anbauregionen von Kakao zu überwachen.
Da die Probleme nun aber einmal vorhanden sind, bilden Zertifizierungen ein Werkzeug, um die Lieferkette von Kakao nachvollziehen zu können und Verbesserungen durchzusetzen. Mit der Fair Trade Labelling Organizations International (FLO), Rainforest Alliance und Utz Certified gibt es drei größere Organisationen, die Bauern beraten, verbesserte Anbaumethoden vermitteln und transparente Handelsketten aufbauen. Wenn die Bauern ökologische und soziale Mindeststandards einhalten, wird deren Kakao mit einem Siegel gekennzeichnet auf dem internationalen Markt angeboten.
Derzeit erhalten die Bauern pro Tonne zertifizierten Kakaos durchschnittlich verglichen mit dem Weltmarktpreis einen Aufschlag von rund 10 %. Die Mehrkosten für die Schokoladenhersteller, die aus der Prämie sowie dem bürokratischen Aufwand bestehen, liegen derzeit je nach Zertifizierungsorganisation etwa bei 0,5 –1,0 Cent je 100-Gramm-Tafel Vollmilchschokolade.
Für die Bauern entstehen durch die Zertifizierung Kosten. Sie müssen sich fortbilden und ihre Produktionsweise ändern. Derzeit wissen die Bauern häufig nicht, ob sie für die zertifizierte Ware tatsächlich eine Prämie bekommen. In den vergangenen Jahren war es häufig so, dass mehr zertifizierter Kakao auf dem Markt war, als die Unternehmen nachfragen und dann musste auch der zertifizierte Kakao zum normalen Preis über den herkömmlichen Markt verkauft werden und die Bauern hatten nichts von ihren Bemühungen um eine nachhaltigere Produktion.
Paradox wird es, wenn die Bauern durch eine Organisation zertifiziert sind, die jedoch ihren Kakao nicht absetzen kann, und dann nicht ohne weiteres über eine andere Zertifizierungsorganisationen Kakao gegen Prämien verkaufen darf: jede Zertifizierungsorganisationen hat eigene Überprüfungsvorschriften und -methoden. Die Bauern müssen daher – wenn sie über einen anderen Zertifizierer verkaufen wollen – tatsächlich erst dessen Zertifizierungsprozess durchlaufen. Derzeit wird allerdings versucht, für das Training der Kakaobauern in Westafrika ein gemeinsames Kurrikulum zu erstellen, an das sich die drei wichtigsten Zertifizierungen dann halten können. Dann gäbe es zumindest weitgehende Übereinstimmung bei den verlangten Standards und bei den Trainingsprogrammen. Langfristiges Ziel müsste es sicherlich sein, dass die Zertifizierer ihre Siegel gegenseitig anerkennen.
Das löst immer noch nicht die Frage, wie man die Verwirrung der Verbraucherinnen und Verbraucher angesichts verschiedener Siegel auf dem Markt beheben soll.
J.S.: Das Geld für die Zertifizierung könnte doch auch aus einem Fond kommen – oder gibt es vielleicht schon einen?
F. H.-A.: Derzeit bezahlen häufig große Kakaoverarbeiter und Schokoladenhersteller über eigene Projekte die Zertifizierung der Bauern aus eigener Tasche. In den Niederlanden gab es vor einigen Jahren schon die Idee, dass auf jede Tonnen nach Europa importierten Kakao eine Art Abgabe erhoben wird. Diese müssen nur 1 oder 2 % des Importwertes sein. Dadurch kämen Summen zusammen, mit denen flächendeckend eine Weiterbildung und Zertifizierung der Bauern finanziert werden könnte. Leider ist aus diesem Plan bislang nichts geworden.
J.S.: Attac und Campact führten schon einige erfolgreiche Aktionen durch, wenn es um die Rettung von….. ging. Zwar stehe ich Attac etwas gespalten gegenüber, wegen des politischen und personellen Hintergrundes der Organisation, aber entscheidend ist doch letzten Endes, was bei einer Aktion rauskommt. Deshalb meine Frage: Hat schon einmal jemand versucht, diese beiden Organisationen einzuspannen, um Druck auszuüben auf Regierungen, Organisationen wie ICI (International Cocoa Initiative), ICCO (International Cocoa Organization), WCF (World Cocoa Foundation), ECA (European Cocoa Association) usw. oder die global tätigen Schokoladenkonzerne? Was halten Sie von einem solchen Versuch und wo müsste man da ansetzen?
F. H.-A.: In einer Reihe von anderen Staaten hat es bereits große Kampagnen gegen Schokoladenhersteller gegeben. In Deutschland war das bislang allerdings nicht in dem Sinne der Fall, dass gezielt gegen einzelne Unternehmen vorgegangen wurde. Es gab und gibt jedoch mehrere regionale Kampagnen.
Die Unternehmen registrieren zudem sehr genau, wie sie in der Presse dargestellt werden und ob ihr Name mit Missständen in den Anbaugebieten von Kakao oder anderen Produkten in Verbindung gebracht wird. Schließlich leben die Markenhersteller von ihren Markenimages und geben weltweit gesehen jährlich Milliardenbeträge dafür aus, diese Markenimages und damit die Absatzmengen ihrer Produkte zu erhalten.
Druck sollte allerdings nicht nur auf Schokoladenkonzerne ausgeübt werden. Man darf die Rolle des Handels nicht außer Acht lassen, der am Ende der Kette sitzt und erheblichen Einfluss auf seine Lieferanten nehmen kann. Derzeit würde ich vor einer großen Kampagne allerdings erst einmal abwarten, ob das Forum Nachhaltiger Kakao noch in diesem Jahr effizient mit seiner Arbeit beginnt: ich habe derzeit den Eindruck, dass einige der großen Unternehmen nicht mehr dazu gedrängt werden müssen, Verbesserungen in ihrer Zuliefererkette durchzusetzen. Die einzige Herausforderung wird jetzt darin liegen, dass alle mitziehen und dass man schnell voran geht!
J.S.: Arbeiten alle die bestehenden Kakao-Organisationen eigentlich in irgend einer Form zusammen oder eher nebeneinander her?
F. H.-A.: Es gibt Kontakte zwischen den unterschiedlichen Organisationen und auch zwischen den Organisationen und den Unternehmen. Es ist allerdings sehr kritisch festzustellen, dass es eine Vielzahl von einzelnen Projekten in Westafrika gibt, die sehr schlecht untereinander abgestimmt werden und wo jeder versucht, das Rad neu zu erfinden. Auch hier sollen das Forum Nachhaltiger Kakao und ein ähnlicher Ansatz in den Niederlanden Abhilfe schaffen: es muss endlich gelingen, die Kräfte der Unternehmen und Organisationen zu bündeln und zügig zu einer Verbesserung der Situation der Bauern in Westafrika zu kommen.
J.S.: Jetzt haben wir die ganze Zeit im Wesentlichen über Aktivitäten von Organisationen, Konzernen, Verbänden gesprochen. Meinen Leserinnen und Lesern habe ich jedoch versprochen, ihnen Möglichkeiten zu zeigen, wie sie selbst aktiv werden können, so dass sie künftig ohne ein schlechtes Gefühl im Bauch Schokolade genießen können. Abgesehen davon, dass sie – hoffe ich zumindest – ohnehin nur Produkte kaufen, die aus fairem Handel stammen. Was können wir tun, wie können wir die Bestrebungen unterstützen, dass die Kakaobauern von ihrer harten Arbeit menschenwürdig leben und ihre Kinder zur Schule schicken können?
F. H.-A.: Es geht dabei nicht nur um Produkte aus dem direkten fairen Handel, sondern auch darum, überhaupt auf zertifizierte Ware zurückzugreifen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass der größte Teil des Schokoladenabsatzes nicht in den Qualitäts- und Preissegmenten stattfindet, die bislang der faire Handel bedient. Wenn also jetzt Unternehmen hingehen und in den nächsten Jahren beginnen, auch Massenprodukte mit zertifizierten Kakao herzustellen, dann muss dies auch honoriert werden.
Um diese Prozesse zu beschleunigen, helfen Anfragen sowohl beim Handel als auch bei den Unternehmen. Schon eine simple E-Mail oder ein Brief mit der Frage, wann beispielsweise endlich die Eigenmarken einer Lebensmittelkette oder die meistverkauften Produkte eines Markenherstellers aus zertifiziertem Kakao sind, zeigt den Unternehmen, dass sie beobachtet werden. Nachfragen lohnt sich!
J. S.: Herr Hütz-Adams, ich danke Ihnen für dieses Interview, Ihre wirklich super ausführlichen Informationen, und wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre Arbeit.
Jetzt hoffe ich auf Sie, liebe Leserinnen und Leser. Darauf, dass Sie künftig nicht mehr einfach ins Regal und nach dem Sonderangebot greifen. Darauf, dass Sie künftig auch an die Menschen denken, die den Kakao für Ihre Schokolade anpflanzen und ernten. Auf Ihre Menschlichkeit, auf so altmodische Dinge wie Mitgefühl, Ethik, Moral. Auf Ihre Bereitschaft, diesen Menschen zu helfen. Menschen wie dem kleinen Richard und seiner Familie – erinnern Sie sich?
P.S.: Auf der Seite des Südwind-Instituts können Sie sich hier einen Fragebogen herunterladen. Stellen Sie diese Fragen dem Marktleiter des Supermarktes, in dem Sie normalerweise einkaufen, der Leitung des Onlineshops, in dem Sie bestellen oder auch der kleinen Confiserie, in der Sie Schokolade und Pralinen kaufen. Sie zeigen damit, dass Sie sich kritisch überlegen, für welche Produkte Sie Ihr Geld ausgeben und dass man Ihnen nicht einfach alles verkaufen kann.
Bildquellen:
© david19771 – Fotolia.com
© Hütz-Adams – Südwind-Institut.de