Der Kanister auf seinem Rücken ist von einem umbarmherzigen, harten Blau. Aus dem Schlauch rinnt eine Flüssigkeit. „Es juckt, es beißt“, flüstert er, während durchsichtige Tropfen über seine Finger laufen. „Es brennt auf der Haut, in der Nase, in den Augen, es bringt dich zum Husten!“
Seit dem Morgengrauen hat Richard mit dem Pestizid die grüngelben Früchte von Kakaobäumen besprüht. Den ganzen Tag. Ohne Atemschutz. Ein schorfiger Ausschlag überzieht seinen Körper. Seine Augen sind gerötet. Sein Blick wirkt, als habe das Gift nicht nur Schädlinge zerstört, sondern auch etwas in ihm selbst. Er schaut uns an wie ein müder alter Mann, dabei ist Richard erst zehn Jahre alt.
Wir begegnen dem hageren Jungen im äußersten Südwesten der Elfenbeinküste, am Rand einer schlammigen Piste, die selbst für unseren Geländewagen kaum passierbar ist. Sie führt zu einer Ansammlung halb zerfallener Hütten, die notdürftig mit Lehm verkleidet und mit schwarzen Plastikplanen abgedeckt sind. Ringsum erhebt sich die tropische Vegetation wie eine grüne Wand. Aus dem Dickicht schimmern die weißlichen Stämme von Kakaobäumen – das fahle Skelett einer milliardenschweren Industrie….
Diese Szene ist nicht meiner Phantasie entsprungen, sie ist leider traurige Wirklichkeit. Sie stammt aus einem Bericht von Michael Obert im Greenpeace-Magazin 03.09.
Die traurige Wahrheit
Rund 90 % des Kakaos für die 11,4 kg Schokolade, die jeder in Deutschland statistisch gesehen jährlich isst, stammen aus Westafrika, über die Hälfte davon von der Elfenbeinküste. Hungerlöhne, unwürdige Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit sind dort an der Tagesordnung. UNICEF schätzt, dass auf den Kakaoplantagen der Elfenbeinküste rund 200.000 Kindersklaven arbeiten. Diese Kinder sind schätzungsweise zwischen 9 und 14 Jahre alt und kosten umgerechnet zwischen 120 und 240 EUR einschließlich Transport. Die meisten stammen aus Mali und Burkina Faso.
Der dänische Filmemacher und Journalist Miki Mistrati hat darüber einen Film gedreht. Als er in einem Interview beim NDR gefragt wurde, wie er denn auf die Idee dazu gekommen sei, sagte er: “Ich war gerade im Supermarkt um die Ecke, um einen Schokoriegel zu kaufen. Im Regal habe ich dann sieben Riegel von Toms, einer dänischen Marke, gesehen. Aber nur einer davon trug das Fairtrade-Siegel. Da habe ich mich gewundert, warum nur einer davon fair gehandelt worden war. Stammten die anderen dann aus unfairem Handel? Mit diesem Gedanken bin ich nach Hause gegangen, um mich darüber zu informieren. Dabei habe ich herausgefunden, dass zu Geschichten über Schokolade auch Gerüchte über illegale Kinderarbeit und Kinderhandel gehörten. Das war der Punkt, an dem ich die Recherche zu meinem Film begonnen habe.”
Nehmen Sie sich bitte die Zeit, sich den folgenden Film anzusehen – er dauert ungefähr 43 Minuten.
Ein halbherziger Versuch
Im September 2001 unterzeichnete die Elfenbeinküste – wie auch die weltweit größten Schokoladenkonzerne – das sogenannte Harkin-Engel-Protokoll, in dem man sich verpflichtete, den Kinderhandel und die schlimmsten Formen der Kinderarbeit aus der Kakaoproduktion zu verbannen: neben Zwangsarbeit auch Tätigkeiten, die ein Kind dauerhaft davon abhalten, eine Schule zu besuchen, sowie gefährliche oder gesundheitsschädliche Arbeiten wie das Tragen schwerer Lasten, den Umgang mit giftigen Substanzen und mit der Machete.
“Das Protokoll bezweckt, schlimmste Formen von Kinderarbeit in der Westafrikanischen Kakaoindustrie zu beseitigen. Eine zentrale Bestimmung des Protokolls beinhaltet die Verpflichtung der Unternehmen, ein unabhängiges und glaubwürdiges Überwachungs-, Bescheinigungs- und Kontrollsystem einzuführen, um bei ihren Lieferanten Kinderarbeit zu unterbinden. Zusätzlich wird von den Unternehmen erwartet, dass sie zugunsten der Betroffenen glaubwürdige Programme einführen, um die Rehabilitation und Entschädigung der Kindarbeiter zu verwirklichen. Bis zum 1. Juli 2005 haben es die Unternehmen versäumt, ein solches System einzuführen, obwohl seit längerer Zeit die Fakten zur ausbeuterischen und menschenrechtswidrigen Kinderarbeit in der Westafrikanischen Kakaoindustrie bekannt waren und darüber auch öffentlich berichtet wurde,” so ein Artikel der Informationsplattform humanrights.ch. Kurzerhand wurde die Frist verlängert bis ins Jahr 2008. Eine Studie der renommierten US-Universität Tulane in New Orleans aus 2011 zeigt: Keines der selbst gesteckten Ziele wurde innerhalb von zehn Jahren erreicht.
Der Weltmarkt für die Verarbeitung von Kakao und die Herstellung von Schokolade wird von einigen wenigen Unternehmen beherrscht, die damit über einen großen Einfluss auf dem Markt verfügen.
Einige Unternehmen der Branche haben Versuche unternommen haben, die eigene Lieferkette zu kontrollieren und gegen die Missstände in den Anbauländern vorzugehen. Sie bauten interne Kontrollsysteme auf oder arbeiteten mit etablierten Zertifizierungsgesellschaften zusammen. Die Projekte erfassen nach Angaben von Friedel Hütz-Adams, der für das Südwind-Institut mehrere Studien zum Kakaomarkt erstellt hat, aber nur einen kleinen Teil des Marktes. Friedel Hütz-Adams ist der Meinung, dass ein international verbindlicher Rechtsrahmen nötig sei, um den formulierten Anforderungen an die Konzerne gerecht zu werden.
Er sagt weiter: „Bei den Debatten werden wir auch um die Frage der Preise nicht herumkommen. Der inflationsbereinigte Preis für Kakao ist über viele Jahre gesunken und zugleich war Schokolade nie billiger als heute. Dies ist die eigentliche Ursache für Kinderarbeit und die schlechten Lebensverhältnisse der Kakaobauern.“
Muss Schokolade billig sein?
Jürgen Steinemann, der CEO von Barry Callebaut, dem weltweit größten Schokoladenhersteller, gibt den Schwarzen Peter an die Schokoladenesser weiter: “Wären die Konsumenten bereit, höhere Kakaopreise mit zu tragen, hätten es alle Teilnehmer in der Kette vom Bauern zum Konsumenten viel leichter. … Wollen wir wirklich die Welt nachhaltig verbessern, müssen wir auch alle bereit sein, mehr für die wertvollen Lebensmittel zu bezahlen, die wir jeden Tag konsumieren. Der Konsument muss sich also auch an der eigenen Nase fassen: Ist er nicht bereit, mehr für ein Produkt zu bezahlen, muss er mit einigen ‘Kompromissen’ leben.”
Wir alle müssen uns fragen, was uns der Genuss von Schokolade wert ist. Denn das, was wir im Supermarkt dafür zahlen, spiegelt ja nicht ihren tatsächlichen Wert wieder. Die Leidtragenden, die unsere Schokolade subventionieren, sind die kleinen Kakaobauern und die Kinder, die auf den Plantagen arbeiten. Hier ist sicher noch viel Aufklärungsarbeit erforderlich. Produkte aus fairem Handel machen noch nicht einmal 1 % der jährlich in Deutschland insgesamt verkauften Menge von Schokolade und sonstigen Kakaoprodukten aus.
Wer davon profitiert
Fast 60 Prozent der Einnahmen von den in der Elfenbeinküste tätigen Kakao-Zwischenhändlern und Exporteuren gingen bis vor Kurzem an die Staatskasse. Oder in private Taschen. Im Juni 2008 wurde der frühere Landwirtschaftsminister Alphonse Douati wegen Unterschlagung von 150 Millionen Euro vor Gericht gestellt. Das winzige Togo, das gerade einmal 5000 Tonnen Kakao selbst anbaut, exportierte beispielsweise 2007 nach Angaben der ICCO allein 50.000 Tonnen nach Deutschland. Branchenkenner vermuten dahinter Schmuggelware aus der Elfenbeinküste.
Laurent Gbagbo, der bis zu seiner Verhaftung im April 2011 Präsident der Elfenbeinküste war, sicherte sich die Unterstützung seiner Milizen und Sicherheitskräfte größtenteils mit Geld aus der Kakaoernte. Laut einem Bericht der UNO von 2004 hat er rund 180 Millionen Dollar aus dem Kakaogeschäft für Waffenkäufe abgezweigt.
Wie das Greenpeace Magazin bereits vor zwei Jahren berichtete, bedient sich das Regime auch aus Geldern einer Kakao-Exportsteuer, die eigentlich für die ländliche Entwicklung vorgesehen ist. Damaliger Stand der vermissten Finanzmittel: rund 650 Millionen Euro.
In Abidjan, der Hauptstadt der Elfenbeinküste, gibt es seit 2007 eine Polizei-Einheit zur Bekämpfung von Kinderhandel. Sie war, zumindest zu den Zeiten von von Laurent Gbagbo, völlig unterbesetzt und verfügte nicht einmal über einen Dienstwagen.
Der Löwenanteil des Geldes aus dem Geschäft mit dem Kakao geht an Zwischenhändler, korrupte Beamte, Wegelagerer und natürlich die Schokoladenkonzerne. Die üppigen Gehälter der Manager in diesen Unternehmen müssen bezahlt werden, die Aktionäre erwarten möglichst hohe Gewinne… und so weiter…
… und alle Fragen offen?
Der jetzige Regierungschef der Elfenbeinküste, Alassane Quattara, hat ein schweres Erbe angetreten. Die Situation ist auch im Westen der Elfenbeinküste wie im ganzen Land noch immer sehr anfällig. Konkretes in Bezug auf die Situation in den Kakaoplantagen konnte ich bis jetzt noch nicht herausfinden. Möglicherweise wird mir hier aber einer der französischen Journalisten vor Ort weiter helfen können. Es wird auf jeden Fall mit einer guten Ernte gerechnet. Die politische Situation ist jedoch immer noch etwas verworren und die Plantagen sind zum Teil nicht wieder in den Händen ihrer rechtmäßigen Eigentümer.
Der Kakaopreis gibt zurzeit immer noch etwas nach, wodurch die Situation der kleinen Plantagenbesitzer nach wie vor kritisch ist. Gegenüber dem, was Greenpeace im März 2009 schrieb, dürfte sich deshalb auch kaum etwas geändert haben. Nach wie vor können diese Menschen nicht von dem leben, was sie durch ihre harte Arbeit erwirtschaften. Sie sind immer noch bettelarm. Hier ein Ausschnitt aus dem Greenpeace-Artikel über den Besuch bei einem dieser Bauern:
“Die Pflanzung gehört Augustin Sawadogo, dem schlanken, hochgewachsenen Mann mit Ziernarben auf den Wangen, der ein Stück weiter geschickt die Erntestange durch die Baumkronen fahren lässt. Augustin ist erst 22 Jahre alt, doch seine Zähne sind bereits verfault. Sein Hemd besteht nur noch aus Fetzen. Er trägt zerlöcherte Gummistiefel und ist nicht der ausbeuterische Sklaventreiber, als den wir uns den Besitzer einer Pflanzung vorgestellt haben. „Als mein Vater krank wurde“, erzählt er auf Französisch, „nahm er mich von der Schule, aus der zweiten Klasse. Ich musste im Kakao helfen. Das war der schwärzeste Tag meines Lebens.“ Seit sein Vater gestorben sei, tue er alles, um seine jüngeren Brüder auf die Schule zu schicken. Die jährliche Gebühr beträgt 15.000 Francs CFA. Umgerechnet 20 Euro. Keine große Sache, wie es scheint. Doch trotz der täglichen Knochenarbeit in der Pflanzung hat Augustin das Geld nicht. „Kakao bringt nichts ein“, winkt er ab. „Kakao macht müde, hungrig, krank. Nur die Schule bringt dich hier raus, nur die Schule sorgt für einen vollen Bauch.“ In schlechten Zeiten legt Augustins Frau bemooste Steine in kochendes Wasser, damit die Kinder nach der Arbeit etwas „Suppe“ essen können.”
Die Kakaobauern bekommen zwischen 60 ct. und 1 EUR für das Kilo, der Welthandelspreis für Kakao lag am 27.04.2012 bei 2.355,68 $ pro Tonne.
“Ach ja, es gibt viel Elend in der Welt,” seufzte die Frau mit den mahagonirot gefärbten Haaren neben mir am Schokoladenregal im Supermarkt, als ich mir einen Kommentar zu dem Ursprung der 5 Tafeln Kinderschokolade in ihrem Einkaufwagen nicht verkneifen konnte. Der junge Mann neben ihr guckte mich entsetzt an und ergriff die Flucht. Und? Ist das alles? Egal wie und woher, Hauptsache, wir haben alles? Wenn Sie bis hierher gelesen haben, denke ich, dass Sie anderer Meinung sind. Aber was können wir, Sie und ich, tun, damit nicht länger Kinder und arme Bauern leiden müssen? Damit wir Schokolade genießen können ohne den Gedanken an Blut, Schweiß und Tränen derer, die den Kakao dafür geerntet haben? Geht das überhaupt? Ja, es geht. Was Sie tun können, damit Sie künftig Schokolade mit einem guten Gefühl genießen können, das zeige ich Ihnen im zweiten Teil des Artikels.
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